GOÄ-Novellierung – rechtmäßig oder Willkür?
Sonntag, 20. April 2025
Ein Beitrag von Prof. Halbe

Die GOÄ wurde zuletzt 1996 überarbeitet. Jetzt liegt ein Entwurf vor – der nicht nur erhebliche berufliche Einschränkungen verschiedener fachärztlicher Gruppen enthält, sondern aus Sicht des Autors Spiegelbild einer eindeutigen und nicht auf Sachgründen basierenden politischen Entscheidung ist.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Bernd Halbe, Köln/Berlin, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Honorarprofessor der Universität zu Köln

Es dürften wohl kaum Zweifel an der Tatsache bestehen, dass die zuletzt 1996 überarbeitete Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) einer grundlegenden Novellierung und Überarbeitung – insbesondere hinsichtlich der Kalkulationsgrundlagen und vor dem Hintergrund einer Inflationsrate von ca. 70 Prozent seit der letzten Änderung – bedarf. Der allerdings nunmehr vorliegende Entwurf (GOÄ-E) enthält nicht nur erhebliche berufliche Einschränkungen verschiedener fachärztlicher Gruppen, sondern dürfte darüber hinaus Spiegelbild einer eindeutigen und im Übrigen nicht auf Sachgründen basierenden politischen Entscheidung sein, die juristisch allerdings nicht tragfähig ist. Denn die eindeutige Aussage lautet:
Der sprechenden und zuwendungsorientierten Medizin soll in umfassender Hinsicht Vorrang vor technischen Leistungen eingeräumt werden.
Mit dem Schwerpunkt auf dem vermeintlich aktuellen ärztlichen Leistungsgeschehen und den daraus allerdings resultierenden, erheblichen Einschränkungen verschiedener Fachgruppen wird deutlich, dass kein Interesse an vollumfänglicher medizinischer Versorgung der Patienten besteht; es wird vielmehr die Bedeutung der eingeschränkten Leistungen in eklatanter Weise verkannt. Auch wird der Bedeutung der GOÄ als staatlicher Preisordnung in keiner Weise Genüge getan.
Die Förderung der sprechenden Medizin erfolgt nicht, wie bei einer Novellierung und dem Ziel der Verbesserung des Versorgungssystems vielleicht anzunehmen, durch weitere Investitionen, sondern vielmehr durch eine reine ,Umverteilung' zu Lasten anderer – vermeintlich – weniger gewichtiger Leistungen. So haben Kardiologen Kürzungen von bis zu 60 Prozent und Radiologen von knapp 29 Prozent zu erwarten. Eine auf sachlichen Gründen basierende Erklärung für diese auch als solche kommunizierte Umverteilung liegt bislang nicht vor. Es dürfte offensichtlich sein, dass eine staatliche Preisverordnung keinen rechtlich zulässigen Hebel für eine solche Umverteilung darstellt.
Eins der Ziele der Novellierung der GOÄ ist es, das duale Versicherungssystem in Deutschland zu erhalten und keine „grundlegenden ordnungspolitischen Beeinträchtigungen“ in der privatärztlichen Versorgung zu verursachen. Eine Herabsetzung der Gebührensätze für technische, damit insbesondere radiologische und kardiologische Leistungen, wird dieses Ziel gefährden.
1. Kein Ausgleich widerstreitender Interessen

Bei der Gebührenordnung für Ärzte handelt es sich um eine Rechtsverordnung des Bundes (Art. 80 GG), deren erforderliche gesetzliche Grundlage sich in § 11 Bundesärzteordnung (BÄO) findet. Hiernach ist die Bundesregierung ermächtigt, die Entgelte für ärztliche Tätigkeiten in einer Gebührenordnung zu regeln. Voraussetzung ist, dass den berechtigten Interessen der Ärzte und der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten Rechnung getragen wird, vgl. § 11 S. 3 BÄO. Die Verpflichtung des Verordnungsgebers, den berechtigten Interessen sowohl von Leistungserbringern als auch Patienten Rechnung zu tragen, dient dem übergeordneten Zweck, einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen herbeizuführen: „weder ein zu hohes Entgelt entrichten zu müssen noch ein zu geringes Honorar fordern zu dürfen“ (BVerfG, Beschl. v. 12.12.1984 – 1 BvR 1249/83).
Bereits diese Voraussetzung ist erkennbar bei Prüfung des Entwurfs der GOÄ-E nicht erfüllt. Der Gesetzgeber verlangt eine umfassende Interessenabwägung, die im Ergebnis sowohl den Interessen der Patienten als auch der Ärzte ausreichend Rechnung tragen muss. Erfolgt diese Interessenabwägung nicht oder führt sie zu einem unzureichenden Ergebnis, so ist die Gebührenordnung bereits mangels gesetzlicher Ermächtigung rechtswidrig. Die Interessen der Ärzte (insb. der Kardiologen und Radiologen) treten bei dem Entwurf der neuen GOÄ deutlich hinter den Interessen der Patienten zurück. Die Reduzierung der Gebührenpositionen unter gleichzeitiger, erheblicher Erhöhung der Qualitätsanforderungen wird im Ergebnis dazu führen, dass immer weniger der betroffenen fachärztlichen Gruppen die entsprechenden Leistungen erbringen. Dieses Ergebnis, nämlich eine deutliche Verschlechterung der Versorgungssituation, kann auch nicht im Interesse der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten sein. Insoweit widerspricht der GOÄ-E auch eindeutig den Interessen der Patienten – demnach den Interessen beider beteiligter Gruppen.
Problematisch erscheint darüber hinaus, dass die Umstrukturierung der Preiskalkulationen keiner erkennbaren und auf sachlichen Gründen basierenden Logik folgt. Vielmehr wird nur die Annahme manifestiert, dass es sich ausschließlich um eine politisch motivierte Umverteilung der Gelder, insbesondere zu Lasten der Kardiologen, Radiologen sowie Strahlentherapeuten, handelt. Die betroffenen Ärzte sind insoweit der GOÄ und damit dem Handeln und der Willkür des Normgebers vollends ausgeliefert. Dies kann aber nicht das Ergebnis sein!
Als Zwischenfazit ist deshalb festzustellen, dass die Neufassung der GOÄ nicht von der Ermächtigungsnorm gedeckt ist, da sie dem Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen nicht in ausreichendem Maße Rechnung trägt, insbesondere da sie eine willkürliche Ungleichbehandlung verschiedener Fachgruppen bedeutet und die avisierte Umverteilung durch die Ermächtigungsgrundlage nicht gerechtfertigt wird.
2. Mischkalkulationsrechtsprechung geht mit Novellierung der GOÄ ins Leere

Die Novellierung der GOÄ und insbesondere die damit verbundene Anpassung der Punktzahlen für radiologische Leistungen stellt eine Abkehr von den ursprünglich zugrunde liegenden und durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelten Grundsätzen der Mischkalkulation dar. Laut langjähriger Rechtsprechung des BSG hat der Normgeber im Bereich der Preiskalkulation bei ärztlicher Honorierung grundsätzlich die Freiheit, eine Mischkalkulation vorzunehmen; konkret kann es auf die kostendeckende Honorierung bestimmter einzelner Leistungen nicht ankommen, da diese von mehreren Faktoren abhinge (vgl. BSG, Urteil v. 14.03.2001 – B 6 KA 54/00 R). Grundsätzlich gilt, sowohl für die GOÄ, als auch für den EBM:
„Wenn der Gesetzgeber eine grundsätzliche gebührenrechtliche Regelung trifft, kann deren Anwendung nicht entgegenstehen, dass sie im Einzelfall zu einer möglicherweise tatsächlich unangemessenen Honorierung einer einzelnen ärztlichen Leistung führt.“ (LG Karlsruhe, Urteil v. 28.03.2003 – 1 S 106/02)
Dies bedeutet zunächst einmal, dass in der vertragsärztlichen Versorgung von einer Mischkalkulation ausgegangen wird, die zu dem Ergebnis führt, dass nicht jede Leistung kostendeckend bepreist sein muss, aber das Gesamtergebnis stimmen muss.
Diese Ansätze mögen im Grundsatz richtig sein, führen allerdings unter der Berücksichtigung der weitergehenden Rechtsprechung des BSG beim hiesigen Entwurf der GOÄ-E zu untragbaren und rechtswidrigen Ergebnissen. Das BSG hat seine Mischkalkulationsrechtsprechung nämlich – nach hier vertretener Auffassung zwar systemwidrig und damit verfassungswidrig – auf die Einnahmen aus privatärztlicher Tätigkeit ausgeweitet. Es heißt in einem späteren Urteil, dass bei der Beurteilung von Honorargerechtigkeit (hier hinsichtlich EBM-Streitigkeiten) auch die Einnahmen aus privatärztlicher Tätigkeit zu berücksichtigen wären (vgl. BSG, Urteil v. 08.12.2010 – B 6 KA 42/09 R).
Werden jetzt aber unter dem Stichwort der ,Honorargerechtigkeit' bei der Vergütung vertragsärztlicher Leistungen zugleich Einnahmen aus dem privatärztlichen Bereich eingepreist, darf die Annahme unterstellt werden, dass jede unzureichende Vergütung im jeweiligen Versorgungsbereich mit der jeweils anderen Einnahmequelle über die Grenzen der vertrags- und privatärztlichen Tätigkeiten hinaus ,kompensiert' werden soll. Die Folge dieser zwar rechtswidrigen aber doch angewandten Gesamtbetrachtungsweise dürfte recht einleuchtend die Gesamtentwertung beider Vergütungssysteme sein – mit der sich daraus ergebenden Konsequenz des Niedergangs der ambulanten Radiologie.
Unter Anwendung der o.g. Rechtsprechung des BSG müsste bei Umsetzung der geplanten Novellierung der GOÄ gleichfalls die vertragsärztliche Vergütung einer Neukalkulation mit dem Ergebnis einer deutlichen Anhebung der Gebühren unterliegen, da die Honorargerechtigkeit ja immer auch unter dem Blickwinkel privatärztlicher Leistungen betrachtet werden muss. Werden Honorare für privatärztliche Leistungen nun erheblich reduziert, kann die vom BSG angenommene Honorargerechtigkeit der vertragsärztlichen Vergütung nicht mehr unterstellt werden, da der vermeintliche Kompensationsfaktor entfällt.
Die wechselseitige Abhängigkeit von privat- und vertragsärztlicher Vergütung bei der Frage der Honorargerechtigkeit widerspricht sämtlichen Vorgaben der Trennung beider Bereiche. Der vom BSG insoweit jahrelang verfolgte Grundsatz, nicht kotendeckende Leistungen könnten durch andere Faktoren ausgeglichen werden, muss unter Aufzeigen des obenstehenden Widerspruchs neu bedacht und kritisch hinterfragt werden. Die Novellierung der GOÄ führt aktuell vielmehr dazu, dass eine Mischkalkulation, die auf den Einkünften aus privatärztlicher und vertragsärztlicher Tätigkeit basiert, nicht mehr den vom BSG unterstellten Ausgleich ermöglichen kann. Insbesondere für radiologische Leistungen, die im Rahmen privater Abrechnung teils sehr aufwendig und kostenintensiv sind, führt die Reduzierung des Honorars zu einem erheblichen finanziellen Defizit. Dieses Defizit kann nicht mehr durch die Erträge aus anderen Bereichen ausgeglichen werden, was zu einer Verlagerung von Ungleichgewichten und zu einer unzureichenden Honorierung der ärztlichen Leistungen führt. Diese Entwicklung widerspricht deshalb auch dem Grundsatz der Sicherstellung der leistungsgerechten Teilhabe an der Gesamtvergütung.
3. Verstoß gegen Art. 12 und Art. 14 des Grundgesetzes (GG)

Ärzte können Preise für Ihre Leistungen nicht frei festsetzen oder mit den Patienten verhandeln. Sie sind vielmehr im Rahmen der vertragsärztlichen Leistungen an den EBM und bei der Behandlung von Privatpatienten an die GOÄ gebunden. Es gibt nur geringfügige Abweichungsmöglichkeiten, die jedoch ohne Relevanz sind. Soweit durch die rechtswidrige Gestaltung der GOÄ-E ein Honorarverlust von durchschnittlich 29 Prozent oder sogar bis zu 60 Prozent eintritt, stellt dies einen rechtswidrigen Eingriff in die grundrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Ärzte dar, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Da die jeweilige Praxis als sog. „eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb“ in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG fällt, liegt auch insoweit ein rechtswidriger, grundrechtlich relevanter Eingriff vor. Auch der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit genießt in einem System, welches den jeweiligen Leistungserbringern (Ärzten) staatlicherseits feste Preise vorgibt und Ihnen insoweit jede Preisverhandlungsmöglichkeit nimmt, Grundrechtsschutz. Insoweit sind die Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG tangiert.

 

Quelle: https://www.radiologie-technik.de/aktuelles/news/goae-novellierung-rechtmaessig-oder-willkuer.html