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Sonntag, 11. Mai 2025
„Der innerärztliche Abstimmungs­prozess ist nicht gut gelaufen“
In etwas mehr als zwei Wochen stimmt der Deutsche Ärztetag in Leipzig über den Entwurf einer neuen Gebührenordnung für Ärzte ab. So zumindest der Plan. Die kürzlich gegründete Initiative „GOÄneu – So nicht!“ fordert, dass die Abstimmung ausgesetzt wird. Warum? Der änd fragte nach, bei den Haupt-Initiatoren Prof. Konstantin Nikolaou (Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft) und Prof. Hermann Helmberger (Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Radiologie).

Nikolaou: „Es muss uns einfach gelingen, zu einer Einigung zu kommen.“
In Ihrer Initiative sind überwiegend die sogenannten technischen Fächer vertreten, die sich durch den Entwurf der GOÄneu benachteiligt fühlen. Was sind Ihre Hauptkritikpunkte?

Nikolaou: Einer unserer Hauptkritikpunkte ist, dass der innerärztliche Abstimmungsprozess nicht gut gelaufen ist. Im September haben wir eine erste Version des neuen GOÄ-Entwurfs bekommen. Es gab dann berechtigte Kritik an verschiedenen inhaltlichen Punkten und infolgedessen gab es sogenannte Clearing-Gespräche. Doch als diese abgeschlossen waren, war für viele der betroffenen Berufsverbände und Fachgesellschaften klar, dass weiterhin Gesprächsbedarf besteht. Die finale Version der GOÄneu, die am 30. April von der Bundesärztekammer versandt wurde, hat das dann auch noch einmal bestätigt.

Es stehen noch mehrere Fragen im Raum: Wie ist es genau zu diesem neuen Vorschlag gekommen? Wie wurden die neuen Ziffern verhandelt und kalkuliert? Aber auch: Wie ist die vom Arzt investierte Zeit berücksichtigt? Der nächste Ärztetag ist bereits in gut zwei Wochen, die Delegierten hatten viel zu wenig Zeit, den neuen Entwurf durchzuarbeiten. Und weil es offensichtlich bei vielen Verbänden und Gesellschaften immer noch Gesprächsbedarf gibt, sind wir der Auffassung, dass man sich nicht diesen Zeitdruck machen und die Abstimmung beim kommenden Ärztetag aussetzen sollte.

Helmberger: Der Gesprächsbedarf, den wir ausgemacht haben, ist von Fach zu Fach unterschiedlich. Es ist auch gar nicht das Ziel unserer Initiative, alle unterschiedlichen Kritikpunkte der einzelnen Fächer genau darzustellen. Wir haben einfach gespürt, dass es die Notwendigkeit und den Willen gibt, dass wir uns noch einmal gemeinsam mit anderen Verbänden und Fachgesellschaften öffentlich artikulieren, dass es in der Fachärzteschaft durchaus divergierende Ansichten zum neuen GOÄ-Entwurf gibt und dass sich viele nicht ausreichend darin vertreten fühlen. Die Deutsche Röntgengesellschaft hat dem dann eine Plattform gegeben.

Sie haben gerade schon erwähnt, dass in den vergangenen Wochen durchaus Clearing-Gespräche stattfanden zwischen Bundesärztekammer und einzelnen Fachverbänden und Fachgesellschaften. Laut Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt wurde daraufhin auf der Basis von Änderungsvorschlägen noch an der Gewichtung einiger Ziffern innerhalb der einzelnen Kapitel gefeilt. Das hat aus Ihrer Sicht aber nicht ausgereicht?

Nikolaou: Es war gut, dass diese Clearing-Gespräche stattgefunden haben, dieses Verfahren war wichtig. Dennoch gilt sowohl für unsere Fachgesellschaft als auch offensichtlich für viele andere, dass die Bedenken, die sie in die Gespräche reingetragen haben, zum Teil zwar gehört und zum Teil auch umgesetzt wurden, aber bei weitem nicht so umfänglich, dass am Ende alle sagen konnten: Das passt jetzt so!

Helmberger: Für einige Verbände und Fachgesellschaften waren die Clearing-Gespräche sicherlich fruchtbar und zufriedenstellend. Aber diejenigen, die sich unserer Initiative angeschlossen haben, die sagen: Das ist nicht ausreichend!

In den öffentlichen Äußerungen und Stellungnahmen der Kritiker des neuen GOÄ-Entwurfs werden unter anderem überproportionale Abwertungen beklagt, die die Leistungen vieler technischer Fächer erfahren haben. Können Sie sagen, wie hoch diese Abwertungen im Schnitt ungefähr sind?

Nikolaou: Das jetzt fächerübergreifend pauschal zu beziffern, ist nicht möglich. Jedes Fach kann für sich Modellrechnungen anstellen. Die sind aber sehr komplex und es kommt sehr auf das Leistungsspektrum an.

Die Diskussion über Umverteilungen ist ein politischer Prozess, den man begleiten muss. Man muss sich für solche Gespräche Zeit nehmen und begründen, wie und warum etwas neu verteilt wird. Man muss sich auch fragen, ob die Bundesärztekammer überhaupt den Auftrag hat oder haben sollte, eine solche Umverteilung zu initiieren. Solche Gespräche dürfen nicht allein mit dem PKV-Verband geführt werden, sondern müssen in Ruhe auch mit den Vertretern der einzelnen ärztlichen Fachbereiche stattfinden.

Wie viel Zeit sollte man sich denn noch nehmen? Der ganze Prozess der Entwicklung einer GOÄ-Novelle geht ja jetzt schon über Jahre…

Nikolaou: Die Limitationen der alten GOÄ sind bekannt und die Diskussoin über die Entwicklung einer neuen GOÄ ist berechtigt. Und wir wollen die Entwicklung einer solchen auch nicht blockieren. Wir wollen im weiteren Prozess aber noch einmal besprechen, was das Ziel von uns allen ist. Wenn wir jetzt in Zeitläufen von Ärztetagen denken, geht es darum, so etwas wieder zu einer Beschlussvorlage zu machen und noch einmal einzureichen. Man muss sich jetzt einen Zeitplan machen und gemeinsam abarbeiten. Wie schnell das gelingt, wage ich nicht zu prophezeien.

Helmberger: Unabhängig von dem Beschluss, den die Delegierten des nächsten Ärztetages in Sachen GOÄ-Novelle fällen werden – die Gespräche müssen danach weitergehen. Und bis dahin ist es auch das Ziel unserer Initiative, die Delegierten möglichst umfassend zu informieren, damit sie ihre Entscheidung auf dieser Basis treffen können.

Helmberger: „Es gibt einen Kompromissweg, davon bin ich überzeugt.“
Nun heißt es im Paragrafenteil der GOÄneu, der vergangene Woche veröffentlicht wurde, dass die BÄK mit dem PKV-Verband eine gemeinsame Kommission zur Weiterentwicklung der GOÄ errichten wird. Im Übrigen war das auch schon vorher bekannt. Bedeutet das nicht schon, dass die Gespräche weiterlaufen werden und bei Bedarf Anpassungen stattfinden?

Helmberger: Im Prinzip ist das eine gute Idee. Wir und viele andere Berufsverbände haben mit Blick auf dieses Vorhaben aber eine Art Déjà-vu-Erlebnis und erhebliche Befürchtungen. Derartige Kommissionen sind uns auch aus dem EBM-Bereich bekannt. Und wozu die führen, das wissen wir. Was wir nämlich nicht wollen, ist eine sogenannte EBM-isierung der GOÄ, also dass es letztlich nur noch um eine Volumenverwaltung geht, die dann untereinander aufgeteilt werden muss. Deshalb sehen wir diese Kommission kritisch.

Andererseits ist uns natürlich klar, dass es irgendein Gremium geben muss, das sich um eine Weiterentwicklung der GOÄ kümmert. Aber bevor eine solche Kommission ihre Arbeit aufnimmt, sind bestimmt noch ein paar grundsätzliche Dinge zu klären.

Was sollte denn noch geklärt werden?

Nikolaou: Es sollte zum Beispiel klar verankert werden, dass die Kommission bei der Weiterentwicklung der GOÄ bei Bedarf auch fachärztliche Expertisen einholt. Diese und andere Regeln der Kommissionsarbeit müssten in der Beschreibung der Arbeit der Kommission klar festgehalten werden. Vielleicht ist es ja auch so gedacht. Klar beschrieben ist es bislang aber nicht.

Sie haben eben schon gesagt, dass es bei einer Reihe von Berufsverbänden und Fachgesellschaften noch Gesprächsbedarf gibt und Sie eine Abstimmung über den Entwurf zur GOÄneu beim nächsten Ärztetag für überstürzt halten. Sie äußern also Kritik am Vorgehen. Welche inhaltliche Kritik an der aktuellen Version der GOÄ-Novelle haben Sie denn?

Nikolaou: Zur Detailkritik können sich am besten die einzelnen Berufsverbände und Fachgesellschaften selbst äußern, weil es da zum Teil unterschiedliche Punkte gibt. Aber ich versuche einfach mal das wiederzugeben, was ich aus den Gesprächen mit Vertretern der fachärztlich-chirurgischen Fächer und auch aus deren schriftlichen Stellungnahmen mitgenommen habe. Da ist zum Beispiel das Problem, dass man komplexe Fälle mit dem neuen GOÄ-Katalog nicht adäquat abbilden kann. Gerade, wenn Sie an maximal versorgende Kliniken denken, ist die Frage, ob eine Analogbewertung wirklich so funktioniert, dass sie regelhaft benutzt werden kann und ob man es schafft, komplexe operative Leistungen bei komplizierten Fällen in einer Mischkalkulation abzubilden, oder ob eine solche irgendwann nicht mehr ausreicht. Die chirurgischen Fächer fordern deshalb unter anderem, dass diese Möglichkeit der Anpassung der Leistungen und Erlöse individuell an den Patienten im Paragrafenteil besser beschrieben sein müsste.

Helmberger: Der Ärztetag hatte ja ursprünglich gefordert, dass die neue GOÄ eine betriebswirtschaftliche Grundlage haben soll. Man kann jetzt natürlich darüber streiten, was eine realistische betriebswirtschaftliche Grundlage ist. Dennoch wäre das eine Möglichkeit gewesen, die GOÄ zukunftssicher zu machen.

Wenn man  nicht betriebswirtschaftlich kalkuliert, ist man wieder bei der bisherigen Version einer volumenbasierten Bewertung. So ist es jetzt vorgesehen. Wenn man Volumina aber asymmetrisch absenkt, ist man am Ende nicht mehr in der Lage, die GOÄ weiterzuentwickeln.

Warum nicht?

Helmberger: Ich gebe zur Erläuterung ein Beispiel: Wenn man jetzt eine bestimmte technische Leistung neu in die GOÄ aufnehmen will, weil es zum Beispiel ein neues technisches Verfahren gibt, dann ist das auf Basis einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation relativ einfach. Dann kann man anhand der Kalkulation entscheiden, ob man diese Leistung aufnehmen möchte oder auch nicht.

Wenn das aber ein politischer Prozess ist, bei dem die betriebswirtschaftliche Kalkulation verlassen wurde, wird es schwierig. Denn dann ist man wieder dem freien Spiel ausgesetzt. Und es wird eine politische Entscheidung geben, zu welcher Erstattung irgendeine Leistung aufgenommen wird oder ob sie eben nicht aufgenommen wird. Und das Verlassen dieser prinzipiellen Kalkulation sehen wir und sehen auch viele andere Fachgesellschaften und Verbände kritisch – völlig unabhängig vom Fach.

Statt der Steigerungsfaktoren soll es künftig sogenannte Erschwerniszuschläge geben, um besondere Umstände bei der Behandlung geltend machen zu können. Was halten Sie davon?

Helmberger: Dass es keine Steigerungsfaktoren mehr geben soll, hat der Deutsche Ärztetag vor Jahren so beschlossen. Wir denken aber, dass abgebildet werden muss, dass unterschiedliche Patienten einer unterschiedlichen Versorgung bedürfen. Mit den derzeitigen Erschwerniszuschlägen ist das aber unserer Ansicht nach nicht möglich.

Nikolaou: Ein Zuschlagssystem muss dann auch so ausdifferenziert sein, dass es eine Reihe von verschiedenen Komplexitätsgraden abbildet. Aber das ist mit den jetzt vorgeschlagenen Erschwerniszuschlägen gar nicht möglich. Auch da muss auf jeden Fall noch einmal nachjustiert werden.

Nun gibt es ja auch große Verbände, zum Beispiel den Hausärztinnen- und Hausärzteverband oder auch den Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten, die den Entwurf der GOÄneu durchaus gutheißen. Wenn der Entwurf beim Ärztetag jetzt mehrheitlich abgelehnt werden sollte und es zu weiteren Änderungen kommt, besteht dann nicht die Gefahr, dass man dann wieder die jetzigen Befürworter der GOÄneu unzufrieden stimmt?

Nikolaou: Es muss uns einfach gelingen, zu einer Einigung zu kommen. Wir sind eine Ärzteschaft und müssen mit einer Stimme sprechen. Am Ende wird es hoffentlich ein verlängerter und weitergeführter sinnhafter Verhandlungsprozess, bei dem jeder vielleicht auch Kompromisse eingehen muss. Dazu müssen alle bereit sein.

Helmberger: Die Ärzteschaft darf sich nicht auseinanderdividieren lassen in Haus- und  Fachärzte. Das darf nicht die Konsequenz sein. Und ich glaube auch nicht, dass es zu Lasten der Hausärzte geht, wenn man die Kritikpunkte der Fachärzte, die sich jetzt in unserer Initiative zusammengetan haben, ausräumt. Da gibt es einen Kompromissweg, davon bin ich überzeugt.

Ihre Forderung ist, dass der Ärztetag in Leipzig nicht über den Entwurf zur GOÄneu abstimmt. Wenn er jetzt aber doch abgestimmt werden sollte, wie geht es dann weiter für Sie? Ich denke nicht, dass Sie dann in Ihrer Kritik verstummen werden, oder?

Helmberger: Wenn die Delegierten entscheiden, dass Sie über diesen Antrag abstimmen wollen, dann müssen die Gespräche trotzdem weitergehen. Und dafür werden wir uns auch einsetzen. Und ich glaube, allein das politische Signal, dass durch die öffentlichen Stellungnahmen und auch durch unsere Initiative jetzt ausgesendet wurde, wird dazu führen, dass es weitere Gespräche auch nach einem eventuellen Votum des Ärztetages geben wird. Schließlich wird auch dem Bundesministerium für Gesundheit als Verordnungsgeber sehr daran gelegen sein, dass die ihm vorgelegte GOÄneu von der Ärzteschaft in ihrer ganzen Breite getragen wird.

11.05.2025, 08:05, Autor/-in: sk.