Ausstellung „Radiologie im Nationalsozialismus“ in Düsseldorf - Von Opfern, Tätern, Taten
Dienstag, 01. Juli 2014
Tuberkulosebekämpfung durch Röntgenreihenuntersuchungen und „Strahlenkastration“ als Methoden negativer Eugenik: Im nationalsozialistischen Deutschland waren Strahlentherapeuten und Radiologen Teil verbrecherischer Aktionen. Mit der Ausstellung „Radiologie im Nationalsozialismus“ arbeiten die Deutsche Röntgengesellschaft (DRG) und die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) ihre NS-Geschichte auf, dokumentieren den verbrecherischen Einsatz der Röntgenstrahlen, zeichnen Biografien verfolgter und ermordeter Röntgenärzte und exemplarisch die Lebenswege einzelner Täter nach. Am 3. Juli 2014 wird die Ausstellung zum Auftakt der 20. Jahrestagung der DEGRO in Düsseldorf eröffnet.

Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 5. Dezember 1933 schaffte die „rechtliche“ Grundlage für Verbrechen an insgesamt etwa 360.000 Menschen, die in den zwölf Jahren der Nazidiktatur unfruchtbar gemacht wurden. Deutsche Strahlenmediziner arbeiteten wissenschaftlich an Methoden der Röntgensterilisation zu Zwecken der negativen Eugenik. Zur Sterilisierung mit Röntgen- und/oder Radiumbestrahlung waren 150 Ärzte (unter anderem an allen Universitätsklinika) zugelassen. Laut Recherchen der Historikerin Dr. phil. Gabriele Moser waren es die fachlich am besten Ausgebildeten, die die Röntgensterilisation zu verantworten hatten. Professor Baumann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO): „Die keimschädigenden Effekte von Röntgenstrahlen waren bekannt und man hatte bereits Erfahrungen mit temporärer und dauerhafter Sterilisation. Nun wurde sie von Radiologen und Strahlentherapeuten bewusst eingesetzt, um Menschen mittels Bestrahlung gegen ihren Willen unfruchtbar zu machen.“ Von den insgesamt circa 360.000 Zwangssterilisierten sind etwa zwei Prozent durch Strahlenbehandlung unfruchtbar gemacht worden. 

Professor Baumann: „Radiologen waren darüber hinaus auch in einen Missbrauch der Tuberkulosebekämpfung durch Röntgenreihendurchleuchtung involviert.“ Eine speziell eingerichtete SS-Einheit, der „Röntgensturmbann SS-Hauptamt“ unter der Leitung von Professor Hans Holfelder (Frankfurt) stand im Dienst der „Gesundheit des Volkskörpers“. Der Wert des individuellen Menschen wurde vernachlässigt, Ziel war die Erfassung der gesamten Bevölkerung und die Isolation von Erkrankten. 1941, als Teile Polens für die „Umsiedlung von Volksdeutschen“ im Rahmen des „Generalplan Ost“ vorgesehen waren, wurde der „Röntgensturmbann SS-Hauptamt“ in Polen eingesetzt. Professor Baumann zitiert die Forschungsergebnisse: „An eine Therapie der rund 230.000 identifizierten polnischen Tuberkulosekranken war nicht gedacht, sondern diskutiert wurden Reservate und/oder die Tötung der Kranken. Was genau mit den etwa 35.000 Offentuberkulösen, also hochansteckenden Kranken, dann geschah, ist noch nicht abschließend untersucht.“

Unrecht geschah insbesondere auch den jüdischen Kollegen, denen am 1.10.1938 ihre Approbation entzogen wurde und die somit aus der DRG ausgeschlossen wurden. Sie wurden ins Exil getrieben, verfolgt, gedemütigt und/oder ermordet. 165 radiologisch tätige Ärztinnen und Ärzte hat Frau Moser recherchieren können. Ihre Namen werden in der Ausstellung aufgeführt, unter anderem Leopold Freund, der Anfang des 20. Jahrhunderts die erste Strahlentherapie eines Tierfellnävus, eines mit vielen Haaren besetztes Muttermals, in Wien durchgeführt hatte. Professor Dr. med. Norbert Hosten, Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft: „Gerade das Rekonstruieren der Biografien der verfolgten Kollegen war uns sehr wichtig. Ich bin froh, dass unsere Fachgesellschaften nach vielen Jahrzehnten des Schweigens und Verdrängens das dunkle Thema Radiologie im Nationalsozialismus aufgenommen haben.“

 

Exemplarisch werden auch die Täterseite und deren Karrieren beleuchtet. Die Beteiligung an Medizin-Verbrechen wird an den Humanversuchen des Radiologen Dr. Georg August Weltz deutlich. Er verantwortete die Kälteexperimente an etwa 200 Häftlingen im KZ Dachau 1941/42, von denen circa 70 bis 80 während der Versuche starben.

Die Porträts von Professor Hermann Holthusen (Hamburg) und Professor Boris Rajewsky (Frankfurt) zeichnen den wissenschaftlichen und medizinischen „Alltag“ nach. Die Schwierigkeit, „Täter“ von „Mitläufern“ zu trennen, wird hier sehr deutlich.

 

Professor Baumann bilanziert: „Großes Unrecht und unmenschliche Verbrechen sind begangen worden, vom Ausschluss jüdischer Ärzte und Physiker aus der Fachgesellschaft bis zur Beteiligung von Radiologen an Zwangssterilisationen und Menschenversuchen.“

 

Die 24 Schautafeln und Medienstationen umfassende Ausstellung entstand unter der wissenschaftlichen Leitung von Dr. phil. Gabriele Moser und resultiert aus einem zweijährige Forschungsprojekt der Heidelberger Historikerin, das 2010 von der DRG in Auftrag gegeben wurde und dem sich 2012 auch die DEGRO angeschlossen hat. Erstmals war die Ausstellung auf dem Deutschen Röntgenkongress im Mai dieses Jahres in Hamburg gezeigt worden.

 

„Radiologie im Nationalsozialismus“ ist für die Besucher der 20. DEGRO-Jahrestagung und Interessierte vom 3. bis 6. Juli 2014 in Düsseldorf zu sehen. Weitere Ausstellungsstationen sind in Planung.

 

Literatur:

Moser, G: Bestallungen (Approbationen) jüdischer Ärzte erlöschen am 30. September 1938“ – Vor 75 Jahren entzog der NS-Gesetzgeber Ärztinnen und Ärzten die staatliche Berufszulassung. Fortschr Röntgenstr 2013; 185(10): 930-935

Moser, G: Radiologie in der NS-Zeit – Teil 1 bis Teil 4. Fortschr Röntgenstr 2014; 186(1): 17-21; 186(2): 116-119; 186(3): 212-217 und 186(4): 329-333.

Weiterführende Informationen finden Sie auf der Webseite der DRG

 

Ärzte Zeitung, 01.09.2014

 
 

 

Täter und Opfer

Radiologen in der Nazi-Zeit

Die Deutsche Röntgengesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie haben die Geschichte der Radiologen in der Zeit des Nationalsozialismus in einer Ausstellung aufgearbeitet.

Von Katrin Berkenkopf

Radiologen in der Nazi-Zeit

Beängstigender Rassenwahn: ein Schautafel-Plakat in der Ausstellung "Radiologie im Nationalsozialismus".

© Berkenkopf

DÜSSELDORF. Die Verbrechen des Nationalsozialismus erforderten auch die Mitwirkung von Medizinern. Und sie machten mit, ob bei der Zwangs-Sterilisierung mittels Röntgenstrahlen im Rahmen der Eugenik oder der Identifizierung und Ermordung tuberkulosekranker Menschen.

Daran erinnert die Ausstellung "Radiologie im Nationalsozialismus", die vor Kurzem in Düsseldorf anlässlich der 20. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) gezeigt wurde und bei weiteren Tagungen zu sehen sein wird.

Entscheidenden Anteil an der Entstehung der Ausstellung hatte Dr. Franziska Eckert, Fachärztin für Strahlentherapie an der Universitätsklinik Heidelberg. Sie hatte sich zunächst privat mit dieser Zeit beschäftigt und bei der Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte erfahren, dass ihr Großvater als SS-Ausbilder an dem verbrecherischen System beteiligt war.

Das Thema ließ sie nicht mehr los. "Es hat ganz gravierende Auswirkungen auf das eigene Arztverständnis", erinnert sich Eckert. "Es geht um die Wertschätzung gegenüber den Patienten."

150 Ärzte beteiligten sich

Ob sie selbst wohl bei diesen verbrecherischen Unternehmungen mitgemacht hätte, sei aus der heutigen Sicht schwer zu sagen. "Aber die Beschäftigung damit weckt die Sensibilität dafür, den Verstand nicht auszuschalten und etwas einfach so auszuführen", sagt sie der "Ärzte Zeitung".

Damals haben viele mitgemacht, etwa die rund 150 Ärzte aus allen Universitätskliniken Deutschlands, die sich an der Zwangs-Kastration von Menschen durch Röntgen oder Radiumstrahlung beteiligten.

"Die keimschädigenden Effekte von Röntgenstrahlen waren bekannt, und man hatte bereits Erfahrung mit temporärer und dauerhafter Sterilisation", so Professor Michael Baumann, Präsident der DEGRO. "Nun wurde sie von Radiologen und Strahlentherapeuten bewusst eingesetzt, um Menschen mittels Bestrahlung unfruchtbar zu machen."

Insgesamt 360.000 Menschen wurden zwangssterilisiert, davon rund zwei Prozent durch Strahlen. In der Ausstellung finden sich eindrückliche Berichte von KZ-Häftlingen, die die grauenhafte Prozedur überlebt hatten. Auch an Röntgen-Reihenuntersuchungen zum Aufspüren tuberkulosekranker Menschen wirkten Mediziner mit.

Der Radiologe Professor Hans Holfelder leitete die SS-Einheit "Röntgensturmbann SS-Hauptamt". Im Zweiten Weltkrieg war er an den Plänen beteiligt, 35.000 unheilbar an Tbc erkrankte Polen durch Gas zu ermorden. Was mit ihnen letztlich geschah, ist noch nicht abschließend untersucht.

Berufsverbot auch für Radiologen

Die Ausstellung erinnert aber auch an die Ärzte, die selbst Opfer der nationalsozialistischen Politik wurden. "Gerade das Rekonstruieren der Biografien der verfolgten Kollegen war uns sehr wichtig", erläuterte Professor Norbert Hosten, Präsident der Deutsche Röntgengesellschaft (DRG).

Mindestens 165 radiologisch tätige Mediziner waren von einem Berufsverbot betroffen. Mit der "Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz" von 1938 waren sie schlicht keine Ärzte mehr.

Sie verloren ihre Approbation und wurden aus der Fachgesellschaft ausgeschlossen. Ausstellungs-Initiatorin Eckert betont, dass dieser Schritt der Ärzteschaft eine "Selbstgleichschaltung" war und nicht Folge eines Drucks von außen.

Viele jüdische Strahlenmediziner emigrierten, andere starben in Konzentrationslagern oder brachten sich selbst um - wie der ehemalige DRG-Präsident Professor Paul Kruse, der monatelange Drangsalierungen durch nationalsozialistisch gesinnte Studierende erlebt hatte.

Der Berliner Arzt Professor Alfred Wolff-Eisner überlebte das Ghetto Theresienstadt und verarbeitete seine Erfahrungen in dem Bericht "Über Mangelerkrankungen auf Grund von Beobachtungen im Konzentrationslager Theresienstadt".

Englische Übersetzung geplant

Die wissenschaftliche Leitung der Ausstellung lag bei der Heidelberger Historikerin Dr. Gabriele Moser, die vor vier Jahren im Auftrag der DRG mit der Aufarbeitung dieses Kapitels begann. 2012 schloss sich die DEGRO, angestoßen durch die Initiative von Franziska Eckert, dem Projekt an.

Erstmals gezeigt wurden die 24 Tafeln und Medienstationen auf dem Deutschen Röntgenkongress im Mai dieses Jahres. "Die Resonanz war sehr ermutigend", berichtet Eckert.

Es gibt bereits zahlreiche Anfragen. Die Ausstellung soll etwa bei den Jahrestagungen der radiologischen Regionalgesellschaften zu sehen sein.

Die Deutsche Röntgengesellschaft plant auch eine umfangreiche Darstellung auf ihrer Internetseite. Da die Ausstellung bei ausländischen Besuchern auf großen Zuspruch stieß, wird es künftig eine englische Übersetzung geben.