R wie Röntgen Der Blick in den Menschen
Freitag, 31. Oktober 2014
Handelsblatt von Christina Stahl

Wie so oft bei großen Erfindungen war es ein Zufall, der Wilhelm Conrad Röntgen auf die besonderen Strahlen stieß. Und ein Glücksfall. Denn Röntgens Entdeckung revolutionierte die Medizin.

Auswertung eines Röntgenbild: Die Technologie ist einer der größten Innovationen der Medizingeschichte. Quelle: dpa
Auswertung eines Röntgenbild: Die Technologie ist einer der größten Innovationen der Medizingeschichte. Quelle: dpa

Wilhelm Conrad Röntgen war ein verschwiegener Mann und gründlicher Wissenschaftler. Am 8. November 1895 macht er zufällig eine Entdeckung, die ihn nicht mehr los ließ. Ein speziell beschichtetes Papier begann zu leuchten, als Röntgen einige Meter entfernt eine Kathodenstrahlröhre einschaltete. Und das Papier leuchtete weiter, auch als Röntgen die Lichtquelle in dicke schwarze Pappe hüllte. Röntgen erzählte niemandem von seiner Beobachtung, nur zu seiner Frau sagte er: "Ich mache etwas, wovon die Leute, wenn sie es erfahren, sagen werden: 'Der Röntgen ist wohl verrücktgeworden.'" Wochenlang schließt der Physiker sich in sein Labor ein und forscht an den "X-Strahlen", wie er seine Entdeckung nennt.

Wilhelm Conrad Röntgen: Entdecker der X-Strahlen Quelle: ap
Wilhelm Conrad Röntgen: Entdecker der X-Strahlen Quelle: ap

Im Januar 1896 ist sich Röntgen seiner Sache schließlich sicher. In der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft in Würzburg hält er seinen ersten und einzigen öffentlichen Vortrag über die X-Strahlen. Er demonstriert seine Erfindung vor den Augen des Publikums und durchleuchtet die Hand eines Kollegen. Die Zuschauer sind begeistert. Röntgens physikalische Erfindung wird zum Publikumshit. Die Möglichkeit, in den eigenen Körper zu schauen, fasziniert alle: Bürger, Wissenschaftler und selbst den Kaiser. Wilhelm II. lädt Röntgen nach Berlin ein, um sich die Erfindung vorführen zu lassen. 1901 geht der erste Nobel-Preis für Physik an Wilhelm Conrad Röntgen. Weil dieser auf eine Patentierung seiner Erfindung verzichtet und von der gesundheitsschädlichen Wirkung der Strahlung noch niemand etwas ahnt, gibt es bald zahlreiche Apparate: Röntgen wird zum Partyspaß. In Schuhgeschäften können sich Kunden mit Hilfe der "X-Strahlen" die Position ihrer Füße in neuen Schuhen ansehen.

Doch viel wichtiger: Das Röntgen revolutioniert die Medizin und legt die Grundlage für weitere bahnbrechende Erfindungen –indirekt erlaubten die Röntgenstrahlen erst die Entdeckung der Radioaktivität. Heute wird auch in der Industrie geröntgt, um Fehler in Bauteilen zu entdecken. An Flughäfen durchleuchten Röntgenstrahlen unser Gepäck und Kunsthistorikern geben die Strahlen Aufschluss über den Zustand von Gemälden.

Revolution der Diagnostik

Doch zurück zur Medizin: Das Röntgen eröffnete eine neue Ära in der Diagnostik. Mit Hilfe der Röntgenstrahlen lassen sich nun Knochen auf Leuchtschirmen und fotografischen Platten abbilden. Das funktioniert, weil Röntgenstrahlen sehr energiereich sind und so Materie durchdringen können. Verschiedene Stoffe verschlucken die Strahlen unterschiedlich stark: Knochen lassen mehr Strahlung durch als Haut oder Muskeln. Deshalb tritt auf dem Röntgenbild der Muskel als weiße Struktur hervor, weiches Gewebe bleibt dunkel. Die Röntgenstrahlung entsteht, wenn die in einem Vakuum beschleunigten negativ geladenen Teilchen, also Elektronen, abbremsen. Wie sichtbares Licht sind Röntgenstrahlen elektromagnetische Wellen, nur die Wellenlänge ist anders. Das Bild der Untersuchung gibt dann Aufschluss über Knochenbrüche oder über Erkrankungen der Lunge, der Nieren oder des Magen-Darm-Trakts. Der Patient darf sich dabei möglichst wenig bewegen, sonst verwackelt das Bild schnell.

Die Entdeckung der „X-Strahlen“ im Jahr 1895 führten den deutschen Physiker Wilhelm Conrad Röntgen zum Nobelpreis. Seine revolutionäre Entdeckung machte er nur zufällig bei einem Experiment mit einer Kathodenstrahlröhre. Ein Jahr später, 1896, bauten die Niederländer Heinrich Hoffmans und Lambertus van Kleef in Maastricht eines der ersten Röntgengeräte.

Zu Wilhelm Conrad Röntgens Zeiten machte man sich um gesundheitliche Risiken wenig Gedanken.  Zahlreiche Menschen starben an den Folgen der Strahlung oder erkrankten an Leukämie. Denn die energiereichen Röntgenstrahlen können die Erbsubstanz unserer Zellen schädigen, Krebs kann entstehen. Deshalb muss die Strahlendosis so gering wie möglich gehalten werden. Heute tragen Patienten deshalb beim Röntgen einen Schutzumhang aus Blei, der keine Strahlung durchlässt.

Röntgen 2.0

In den letzten Jahren hat sich das digitale Röntgen verbreitet,  vor allem in der Zahnmedizin. Dabei werden die Bilder nicht mehr analog auf Filmmaterial, sondern auf einer digitalen Speicherfolie festgehalten. Die neue Technik hat mehrere Vorteile:  Die Bildqualität ist besser, die Aufnahme in Sekunden verfügbar. Der Arzt kann die Bilder digital speichern, nachbearbeiten und an Kollegen verschicken. So gehen weniger Aufnahmen verloren, weniger Untersuchungen müssen wiederholt werden. Außerdem sinkt die Strahlenbelastung für den Patienten, denn die digitale Speicherfolie ist verglichen mit dem konventionellen Röntgenfilm wesentlich empfindlicher. Die Aufnahme ist schneller fertig.

Chip-basierte Diagnose-Tools

Diese neue „Diagnostik-Haut“ ist in der Lage, feine Temperaturabweichungen zu erkennen, die möglicherweise Anzeichen einer ernsten Erkrankung sind. Zudem kann sie kleine Bereiche mit Wärmetherapie und sogar mit Medikamenten versorgen. Der flexible Chip ist genauso wenig invasiv wie ein temporäres Tattoo und macht teure Ausrüstung, die zudem die Bewegungsfreiheit des Patienten einschränkt, überflüssig.

Bild: NIH.gov/John Rogers, University of Illinois at Urbana-Champagign

Bereits in den 1960-er Jahren träumte der britische Elektrotechniker Godfrey Hounsfield von der Digitalisierung des Röntgens. Seine Vision: Das Körperinnere noch detailgenauer dazustellen. Dazu sollte ein Computer Röntgenstrahlen auswerten, die aus verschiedenen Richtungen auf den Körper treffen. So wäre es möglich, Schichtaufnahmen zu erhalten. Ein kühner Plan. 1968 untersuchte Hounsfield mit seinem Prototyp das Gehirn eines Schweins: Die Maschine scannte neun Tage lang, der Computer brauchte zwei Stunden um alle Messungen zu berechnen. Doch es funktionierte: Die Computertomografie war geboren. Die erste CT-Aufnahme an einem Menschen erfolgte im Jahr 1971. Heute arbeiten moderne Computertomografen mit hochauflösenden Kameras und scannen das Innere eines Menschen in Sekundenschnelle. Heraus kommen verblüffend detailreiche, dreidimensionale Bilder. Wilhelm Conrad Röntgen wäre sicher stolz. 

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